Die Sendung "Markt" - WDR Fernsehen - berichtete am 25.7.2011 um 21 Uhr über zwei Fälle der Kanzlei Dr. Kirchhoff & Kollegen unter dem Titel "Markt-Scanner - Krankenhauskeime". Zu Wort kamen in dem Fernsehbeitrag Professor Dr. Alexander Friedrich, Dr. Klaus-Dieter Zastrow sowie Patientenanwalt Dr. Burkhard Kirchhoff.

Bestandteil des Fernsehbeitrages waren erste Stellungnahmen zu den anstehenden Änderungen des Infektionsschutzgesetzes. Die Sendung in Textform finden sie hier:


Rund 600.000 Krankenhauspatienten infizieren sich jedes Jahr in Deutschland mit Krankenhauskeimen. Tausende sterben, auch weil Krankenhäuser das Problem nicht immer ernst genug nehmen.

Vor einigen Jahren wurde im Bein von Eduard Piters ein Tumor entdeckt. Die notwendige Operation verlief gut. Doch bald merkte er, dass irgendetwas nicht stimmte. Auf einen erneuten Eingriff, eine sogenannte Resektion, folgten weitere Operationen. Eduard Piters hatte eine schwere Wundinfektion. Ein ganzer Keim-Cocktail verhinderte die Heilung. Heute ist er zu 80 Prozent behindert und sitzt im Rollstuhl.

Ein Hauptübertragungsweg für gefährliche Keime im Krankenhaus sind die Hände von Ärzten und Pflegekräften. Was konsequente Hygiene bedeutet, macht Professor Dr. Alexander Friedrich, Experte für Mikrobiologie und Krankenhaushygiene, deutlich: "Im Krankenhaus muss ich bis zu 50, 60, 100 Mal am Tag meine Hände desinfizieren - nach jedem Kontakt und vor jedem Kontakt mit Patienten, nach einer ganz bestimmten Technik." Doch viel zu häufig hält sich das Krankenhauspersonal nicht daran.

In der Uniklinik Münster präpariert Professor Friedrich ein Krankenzimmer mit Dummys für ein spezielles Experiment. Er will Keime sichtbar machen. Angehende Ärzte untersuchen die Dummys so, wie sie es sonst auch tun. Experten beobachten jeden Schritt mit der Kamera. Professor Friedrich erläutert das Experiment: "Bei Licht sieht man nichts und dann schaltet man es aus und sieht es leuchten: die eigenen Fingerabdrücke. Und dadurch wird letztendlich in den Kopf und in die Herzen der jungen Kollegen und Kolleginnen gebrannt, wie wichtig es ist und wie gefährlich es sein kann." Das Resultat des Experiments: Überall sind Keime zu sehen. Damit hatte kein Teilnehmer gerechnet. Für Professor Friedrich ist die Schlussfolgerung klar: "Sie brauchen diejenigen, die wissen, wie es geht. Und das sind Ärzte für Mikrobiologie, Ärzte für Hygiene und Hygienefachkräfte, die in jedem Krankenhaus vorhanden sein müssen."

Kritik an neuem Gesetz

Ein neues Gesetz soll Hygieneempfehlungen bundesweit vereinheitlichen und verbindlich machen. So weit, so gut. Doch Experten sehen bereits Probleme bei der Umsetzung: Es gebe nicht genügend Fachpersonal. Bundesweit fehlten rund 400 Hygieniker und etwa 1.500 Fachkräfte.

Dr. Burkhard Kirchhoff ist Rechtsanwalt und vertritt viele Opfer von Krankenhausinfektionen. Dabei stoße er immer wieder auf desaströse Zustände: "Wo Instrumente einfach in die Spülmaschine eingeräumt werden und dann darauf gehofft wird, dass der Sterilisator es schon richten wird. Ein Grundsatz gilt in der Hygiene: Dreck kann man nicht sterilisieren!"

Das neue Gesetz überträgt die Kontrolle über die Einhaltung der Vorschriften den Gesundheitsämtern. Doch Anwalt Kirchhoff ist da skeptisch: "Wie die Kontrolle durch die Gesundheitsämter in Deutschland bisher funktioniert hat, das haben wir ja in den letzten Jahren gesehen: Wir haben Infektionszahlen, die gegenüber anderen europäischen Ländern wirklich eine Peinlichkeit sind."

Hygieneexperten beobachten zudem, dass eine bestimmte Keimart weltweit auf dem Vormarsch ist. Diese Keime, sie heißen Klebsiella oder E.Coli, gehören zur Darmflora des Menschen. Die Experten sind alarmiert, weil diese Keime immer häufiger gegen fast alle Antibiotika resistent sind. Der Oberbegriff für diese Keimgruppe ist ESBL. Kritiker sehen hier den einen weiteren Schwachpunkt des neuen Gesetzes: Zum Umgang mit diesen Keimen regelt es nichts. Dazu gibt es noch nicht einmal eine Empfehlung.

Resistent gegen Antibiotika

Aggressive Keime fressen sich auch durch den Unterschenkel von Tanja Koopmann. Dabei hatte alles ganz harmlos begonnen: mit einer Endoskopie am Knie. In der Nacht kamen die Schmerzen und Fieber - erste Anzeichen einer Infektion, die nicht in den Griff zu bekommen war, wie Tanja Koopmann erzählt: "Der Keim kam immer wieder. Immer wieder Klinikaufenthalte, ambulante Aufenthalte, es wurde immer wieder am Knochen hantiert. Die offene Wunde war klaffend da. Die Entzündungen kamen und gingen, und eigentlich stand man auch ratlos davor." Über einen Zeitraum von sieben Jahren folgte Operation auf Operation.

Die einzige Waffe im Kampf gegen solche Infektionen sind Antibiotika. Doch bei Tanja Koopmann versagen sie. Und das ist kein Einzelfall. Experten warnen schon lange, dass Antibiotika ihre Wirkung verlieren könnten, weil sie zu oft und falsch eingesetzt werden.

Nach Jahren des Leids hat Tanja Koopmann Glück: Dr. Klaus-Dieter Zastrow, einer der führenden Experten für Krankenhausinfektionen, will sich ihr Bein ansehen. Er macht, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: eine gründliche Diagnostik - und ist entsetzt: "Das Antibiotikum, das sie bekommen hat - sie hat uns ja berichtet, was sie genommen hat über die Jahre - ist für den Infekt am Knochen gar nicht geeignet. Das heißt, es kommt am Knochen nicht an. Das war die eigentliche Ursache. Sie ist genau genommen gar nicht behandelt worden."

Gezielte Antibiotika-Therapie

Jede Infektion muss erregergerecht behandelt werden, sagt Dr. Zastrow. Das heißt, dass zuerst festgestellt werden muss, um welche Erreger es sich handelt. Dann muss geklärt werden, welche Antibiotika wirken und welche Resistenzen vorliegen. Mit einem sogenannten Antibiogramm geht das. Doch die Praxis in deutschen Krankenhäusern sieht oft anders aus, wie Experte Zastrow beschreibt: "Die Realität in den Krankenhäusern ist sicherlich höchst unterschiedlich, das Wissen ist unterschiedlich. Aber man muss auch sagen, dass die Bereitschaft, ein Antibiogramm zu machen, nicht überall gleichermaßen groß ist, obwohl es natürlich das A und O ist. Es wird immer gerne gesagt, in Deutschland würden zu viele Antibiotika verordnet. Dem widerspreche ich und sage: Nein, es werden zu viele falsch gegeben, ohne einen Test. Daran hängt es." Tanja Koopmann hat inzwischen ihre Keime besiegt - dank gezielter Diagnostik und gezielter Antibiotika-Therapie.

Professor Winfried Kern veranstaltet Schulungen für Ärzte und Pflegekräfte zum richtigen Umgang mit Antibiotika. Von den verfügbaren Antibiotika-Klassen gibt es eine, die besonders verträglich und kostengünstig ist. Fast alle setzen sie ein. Die Folge: Immer mehr Keime sind dagegen resistent. "Der Nutzen ist bedroht. Der Nutzen wird auch noch mehr bedroht werden in Zukunft, wenn die Resistenzrate von zehn auf 20, 30, 40 Prozent ansteigt", warnt Professor Kern. Der Verlust einer ganzen Antibiotika-Klasse sei eine medizinische Katastrophe, sagen Experten. Umso wichtiger ist es, dass Ärzte und Pfleger lernen, wie man Antibiotika intelligent einsetzt.

Ein Praxistest

Etwa 80 Prozent der Antibiotika werden im niedergelassenen Bereich verschrieben. Im Herbst 2010 machte die ARD-Sendung plusminus einen Versuch: Sie schickte zehn gesunde Frauen mit fingierter Blasenentzündung zum Arzt. Und tatsächlich: Sechs von zehn Frauen wurde ein Antibiotikum verschrieben.

Knapp ein Jahr später wollten wir wissen, ob sich daran etwas geändert hat. Mit einer vorgetäuschten Blasenentzündung suchte unsere Testperson zehn verschiedene Ärzte auf. Zuvor wurde sie von WDR-Betriebsarzt Dr. Michael Neubert durchgecheckt. Seine Diagnose: "Wenn ich den Teststreifen mit der Farbskala vergleiche, steht eindeutig fest: kein Harnwegsinfekt und kein Behandlungsbedarf." Sechs von zehn Ärzten verordneten ihr dennoch ein Antibiotikum. Die Warnungen von Experten haben wohl immer noch nicht überall gefruchtet.

Autorin: Melanie Jost

Link
markt-Umfrage: Infektionen in Krankenhäusern (PDF-Datei, 159 KB). markt://Sendung (25.07. 2011)