"Zahlenspiele" der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene ?

Warum präsentiert die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene der Öffentlichkeit stark schwankende Fallzahlen zur Anzahl der Krankenhausinfektionen in Deutschland?

Wir haben Fragen und fordern Antworten!

Aktuell fand - mit großem Medienecho und mehr als 1500 Teilnehmern - der 12. Kongress für Krankenhaushygiene der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene in Berlin statt.

Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene behauptet von sich seit vielen Jahren, die Fachkompetenz der verfügbaren Hygieneexperten in Deutschland zu bündeln.

Zu den Vorständen der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene gehören neben den Professoren Axel Kramer und Martin Exner - Präsident und Vizepräsident der DGKH - auch Prof. Dr. Klaus-Dieter Zastrow.

Unsere Kanzlei kritisiert seit vielen Jahren das Fehlen wissenschaftlich valider Untersuchungen zur tatsächlichen Anzahl von Krankenhausinfektionen und zur Anzahl der vermeidbaren Infektionen in Deutschland.

Die Kenntnis einigermaßen realistischer "Fallzahlen" - der Anzahl der von oft unermesslichem Leid betroffenen Menschen in unserem Land - wäre aus unserer Sicht eine Grundvoraussetzung, um die Hygiene in deutschen Kliniken einschätzen und der deutschen Regierung seriöse Empfehlungen unterbreiten zu können.

Wir beobachten seit Jahren, dass die "offiziellen Zahlen" der Fälle an Krankenhausinfektionen und die Angaben zur Anzahl der "vermeidbaren Infektionen" sich auch nach der Interessenlage der die Zahlen bekannt gebenden Fachgesellschaften oder Interessenvertretungen zu richten scheinen:

So werden von der Deutschen Krankenhausgesellschaft - als Vertretung der etwa 2.200 Kliniken in Deutschland - aus unserer Sicht deutlich zu niedrige Zahlen von 400.000 bis 600.000 Infektionen jährlich bei gleichzeitig niedrigen Vermeidbarkeitsquoten genannt.

Auffällig niedrige Fallzahlen an Krankenhausinfektionen nennen auch die deutsche Bundesregierung und das Gesundheitsministerium. Beide fördern gleichzeitig keine geeigneten Maßnahmen, um den Kliniken valide Erfassungssysteme zur Pflicht zu machen und deren Einhaltung - das wäre entscheidend - strikt, fachkundig und unabhängig zu kontrollieren.
Die "Alerts" Studie der Universität Jena unter Mitwirkung von Prof. Dr. Martin Brunkhorst wurde gefördert. Martin Brunkhorst hat die - aus unserer Sicht zu wenig ehrgeizige - Erkenntnis gewonnen:

"Es ist unser Ziel, die Krankenhausinfektionen an unserem Klinikum nachhaltig um 20 % zu reduzieren" (siehe http://www.uniklinikum-jena.de)

Die DGKH in Berlin:

In einer Stellungnahme der DGKH zu Prävalenz, Letalität und Präventionspotenzial nosokomialer Infektionen in Deutschland 2013 wird durch die "wissenschaftliche" Fachgesellschaft der Krankenhaushygiene in Deutschland erstmals eingeräumt, dass als realistisch Gesamtzahlen von ca. einer Millionen nosokomialen Infektionen pro Jahr und eine Sterblichkeitsrate von 2,5% erscheint. Unter der Annahme einer auch nur leicht höheren, prozentualen Zahl von nosokomialen Infektionen ergeben sich noch deutlich höhere Zahlen als eine Millionen Infektionen in Deutschland pro Jahr.

In der Stellungnahme der DGKH aus 2013 musste zusätzlich eingeräumt werden, dass bei einigen, wesentlichen Infektionen der vermeidbare Anteil an Krankenhausinfektionen "bei nahezu 100%" liegen dürfte.

In einer "geänderten Pressemitteilung" zur Pressekonferenz der DGKH vom 16.04.2010 hingegen, hat die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene eine erstaunlich niedrige Zahl von Krankenhausinfektionen in Deutschland von

"bis zu 500.000 Infektionen und bis zu 20.000 hierdurch verursachte Todesfälle in deutschen Krankenhäusern"

behauptet.

Wir stellen uns die Frage, warum eine wissenschaftliche Fachgesellschaft für Krankenhaushygiene mit namhaften Hygiene-experten Schwankungen bei der Angabe der Infektionszahlen von 500.000 im Jahre 2010 zu einer Millionenen im Jahre 2013 und dann - anlässlich eines großen Kongresses? - wieder runter auf nur noch 900.000 Infektionen bekannt gibt.

Wir erwarten von einer Gesellschaft, die von sich behauptet, die "Fachkompetenz der verfügbaren Hygieneexperten in Deutschland zu bündeln", dass die Zahl der Krankenhausinfektionen in Deutschland nicht anhand erkennbar veralteter Zahlmaterialien ermittelt wird.

Wenn valide Zahlen in 2010 und aktuell nach Ansicht der DGKH nicht existieren, hätten wir von der DGKH - mit ihren namhaften Experten - erwartet, dass diese Schwäche der Zahlen offenbart und geeignete, unabhängige Forschung gefordert wird.

Statt dessen wurde die deutsche Öffentlichkeit mit der Angabe einer Zahl von "nur bis zu (!) 500.000 Infektionen" - ob bewusst oder unbewusst - getäuscht.

Wir stellen - öffentlich - die Frage, wie die "geballte Kompetenz der Hygieneexperten" in Deutschland noch im Jahre 2010 in einer "geänderten Pressemitteilung" nur von

bis zu 500.000 Infektionen und bis zu 20.000 hierdurch verursachte Todesfälle in deutschen Krankenhäusern

sprechen kann, wenn diese Zahl im Jahre 2013 um 100% auf eine Millionen erhöht werden muss, um diese dann - ohne erkennbaren, wissenschaftlichen Hintergrund - rechtzeitig zu einem großen Kongress in Berlin mit hoher, medialer Aufmerksamkeit - nämlich in der offiziellen Pressemitteilung der DGKH vom 28.03.2014 um 11.00 Uhr - wieder um "100.000 Infektionsfälle" unter die - "vielleicht magische Grenze" auf nur noch 900.000 Infektionen zu reduzieren.

Eine Millionen ist eine hohe Zahl, sie ist aus unserer Sicht zu niedrig gegriffen. Warum nennt die DGKH nach sehr zweifelhaft niedrigen Zahlen im Jahr 2010 dann eine um 100.000 Fälle unter der Millionen liegende Zahl?

Prof. Dr. Klaus-Dieter Zastrow hat am 27.02.2014 in der Zeitung "WAZ" ein erfrischendes Interview gegeben, in dem er offen "geschönte und längst überholte" Zahlen in offiziellen Angaben kritisiert. Wir gehen deshalb davon aus, dass die erstaunlichen "Zahlenspiele" der DGKH auf dem Rücken der Patienten nicht von allen Vorständen der DGKH getragen werden.

Das Interview von Herrn Zastrow hat die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene zum Anlass genommen, um sich auf der Webseite der DGKH - www.krankenhaushygiene.de - zu distanzieren.

Eine Erklärung, warum die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene im Jahre 2010 um - unseres Erachtens - mindestens eine halbe Millionen Infektionsfälle zu niedrige Zahlen benannt hat und die Zahl an Infektionen anlässlich des Kongresses der DGKH in Berlin im März 2014 um 100.000 Infektionsfälle - ohne erkennbaren, wissenschaftlichen Hintergrund - auf nur noch 900.000 Fälle reduziert wurde, findet sich auf der Webseite der DGKH hingegen nicht.

Es findet sich auch keine Erklärung oder Entschuldigung den deutschen Patienten gegenüber, warum die Zahl der Infektionen im Jahre 2010 nur etwa halb so hoch gelegen haben soll.

Wir stellen folgende Fragen:

Wie kann es sein, dass eine wissenschaftliche Fachgesellschaft zu den elementarsten Aspekten der Krankenhaushygiene in Deutschland - nämlich den Infektionszahlen und dem damit verbundenen, unendlichen Leid tausender Menschen - Zahlen benennt, die sie selbst wenig später um 500.000 - bzw. im Zuge der Pressemitteilung vor dem großen Kongress in Berlin "nur noch" 400.000 - korrigieren muss?

Welche Experten sind in der DGKH tätig? Sind diese unabhängig und der deutschen Krankenhaushygiene und damit auch dem gesundheitlichen Wohl der Patienten verpflichtet oder gibt es in der DGKH Berater, deren Interessenlage - aus welchen Gründen auch immer - niedrige Infektionszahlen entsprechen?

Wenn die Angabe von "bis zu 500.000 Infektionsfällen in Deutschland" tatsächlich auf "Unwissenheit" beruhen sollte, so ist die Frage zu stellen, warum die DGKH - soweit für uns ersichtlich - weder selbst eine geeignete, breite Studie in Auftrag gegeben oder eine solche angestoßen hat und warum im Jahre 2010 nicht auf die fehlende, wissenschaftliche Validität dieser sehr niedrigen Zahlen hingewiesen wurde.

Warum wurde im Jahre 2010 die Pressemitteilung "geändert"? Wie lautete die ursprüngliche Fassung der Pressemitteilung? Was war der Grund für Änderungen und gab es Änderungen bei den bekannt gegebenen Zahlen und wenn ja warum?

Im Rahmen unserer Tätigkeit als Patientenanwälte für Menschen, die durch Krankenhausinfektionen geschädigt wurden, ist uns auch aufgefallen, dass selbst von namhaften Medizinern teilweise eine Vermeidbarkeit von "nur 20, 25 oder 30%" bei nosokomialen Infektionen angegeben wird.

Prof. Dr. Klaus-Dieter Zastrow hat in dem erwähnten Interview in der WAZ ebenfalls diesen Aspekt angesprochen.

Von medizinischen Koryphäen werden in einzelnen Veröffentlichungen niedrige Vermeidbarkeitsquoten - oft ohne jede Differenzierung hinsichtlich der Art der medizinischen Maßnahme oder des Eingriffes - genannt.

Auch insoweit sehen wir die Gefahr einer interessengeleiteten Argumentation. Während Hygiene-Experten wie Pro. Dr. Walter Popp (Universität Essen) eine in Deutschland überfällige "Zero-Tolerance" Strategie fordern und eine generelle, prozentuale Vermeidbarkeit der Krankenhausinfektionen in Höhe von 50% und - bei einzelnen Eingriffen - bis zu 100% formulieren, streben andere die Senkung der Infektionsfälle in ihrer Klinik um 20% an.

Das ist nach unserer Auffassung zu wenig und wir fordern mehr Ehrgeiz im Sinne des Patientenwohls!

Wir stellen die Frage zur Diskussion, ob in einzelnen Fällen die Interessenlage einzelner Medizinexperten, die Vermeidbarkeitsquoten von 20 bis 30% nennen, eine Rolle spielen könnte?

Fast zynisch anmutend könnte man fragen:

Lohnen sich die - je nach individuellem Hygienegrad der Klinik - kostenintensiven Anstrengungen zur Verbesserung der Krankenhaushygiene überhaupt, wenn "ohnehin nur 20% der Infektionen vermeidbar sein sollen?

Bedarf es der - von uns als Patientenanwälten seit Jahren als dringend bezeichneten - strengen und unabhängigen Kontrollen der Kliniken in den Detailbereichen (Struktur, sachliche und personelle Organisation, Medizintechnik) überhaupt, wenn der maßgebende Verursacher nosokomialer Infektionen die fehlerhafte Händehygiene sein soll?

Die vorstehenden Fragen sind ein Hinweis auf die Argumentation, auf die wir - insbesondere bei kliniknahen Wortführern - immer wieder treffen und die gleichzeitig eine Vemeidbarkeitsquote von nur 20% bis 30% ohne jede Differenzierung propagieren.

Fazit:

Deutschland hat weiterhin katastrophal zu hohe Infektionszahlen.

Die tatsächliche Zahl der in weiten Teilen - mangels geeigneter Erfassungssysteme - unvollständig erfassten Infektionszahlen in deutschen Kliniken dürfte realistisch betrachtet bundesweit bei oberhalb einer Millionen Infektionen liegen. Unendlich viel überflüssiges Leid von Patienten ist die Folge.

Die Regierung und der Patientenbeauftragte schauen weiter zu und sorgen nicht für eine unabhängige, bundesweite Kontrolleinrichtung nach niederländischem Vorbild.

In den nächsten Jahren werden in Deutschland weiter Tausende Menschen vermeidbar durch Krankenhausinfektionen und fehlerhaft behandelte septische Geschehen sterben.

Fragwürdige "Zahlenspiele" der führenden Fachgesellschaft für Krankenhaushygiene in Deutschland belegen die Notwendigkeit, durch einzelne Interessenvertretungen und Fachgesellschaften der Medizin präsentierte Zahlen zu sensiblen Bereichen stets kritisch zu hinterfragen. Belege für propagierte Zahlen sollten auf der Basis unabhängiger und nicht "interessengeleiteter" Forschung gefordert werden.

Wer Zahlen präsentiert, die binnen kurzer Zeit stark schwanken oder das Fehlen aktueller, valider Erhebungen zu diesen Zahlen nicht ausreichend kenntlich macht, sollte dies erklären.

Wir werden Stellungnahmen einzelner Vorstände der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene zu den Infektionszahlen künftig kritisch betrachten, nachdem die DGKH auf ihrer Webseite - trotz ihres wissenschaftlich hohen Anspruches - bisher nicht öffentlich erklärt hat, wie es zu diesen schwankenden Zahlen in einem für die DGKH und die deutsche Krankenhaushygiene insgesamt elementaren Bereich kommen kann.


RA Dr. jur. Burkhard Kirchhoff
Patientenanwalt

Wilhelmstraße 9
35781 Weilburg / Lahn
06471 / 93 72 - 0
info@kirchhoff-anwalt.de
www.mrsa-anwalt.de