"Deutschlands beste Kliniken" - Focus Heft Nr. 39

Kritische Anmerkungen von Patientenanwalt Dr. Burkhard Kirchhoff zum aktuellen Focus Aufmacher - Heft Nr. 39 vom 22.9.2014 - finden sie hier:

Mit der Schlagzeile "Deutschlands beste Kliniken" wirbt die Zeitung Focus als Aufmacher des Heftes Nr. 39/14.

Der Focus behauptet von sich, er habe den "bislang umfangreichsten Vergleich der deutschen Krankenhäuser" durchgeführt und "Qualitätsdaten" ausgewertet.

Der Focus berichtet über einen von uns anwaltlich vertretenen Infektionsfall. In dem Artikel ist Patientenanwalt Dr. Burkhard Kirchhoff wie folgt zitiert:

"Da hatten die Bakterien eine Herzklappe bereits angegriffen und aufgelöst", schreibt Liß' Anwalt, der Medizinrecht-Fachmann Burkhard Kirchhoff, in der Anzeige. Kirchhoff weiß, dass er einen schwierigen Fall übernommen hat." Der Nachweis, dass sich ein Patient einen Keim schuldhaft in der Klinik geholt hat, gelingt nur selten.

Im nächsten Satz wird die Direktorin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Charité in Berlin, Petra Gastmeier zitiert:

"Eine halbe Million Mal infizieren sich Patienten in deutschen Krankenhäusern mit Keimen jedes Jahr. Ungefähr ein Drittel wäre laut jüngeren Studien vermeidbar."

Im weiteren Verlauf des Focus Artikels wird dann sinngemäß ausgeführt, "neben Nachlässigkeit bei der Hygiene" seien es weitere Schwachstellen in Krankenhäusern, die die Gesundheit von Patienten gefährden. Jede 2. Klinik schreibe "rote Zahlen".

Unser kritischer Kommentar zum Aufmacher des Focus "Deutschlands beste Kliniken":

Der Leser soll durch den Artikel des Focus den Eindruck gewinnen, der Focus habe herausgefunden, welche Kliniken die "100 Top-Kliniken" in Deutschland sind.

Dabei wurde aus unserer Sicht der Krankenhaushygiene keine ausreichende Aufmerksamkeit geschenkt. Die den Kliniken gestellten Fragen zur Qualität der Hygiene sind nicht veröffentlicht. Der Leser kann deshalb nicht prüfen, ob die Antworten der Kliniken eine "Top-Hygiene" in geeigneter Form belegen.

So führt der Focus aus, die Untersuchung decke "16 wichtige Fachbereiche ab".

Die Liste der Fachbereiche im Heft lässt erkennen, dass das - in Anbetracht der deutschlandweit betrachtet hohen Infektionszahlen - für die Sicherheit der Patienten sehr wichtige Fachgebiet der Krankenhaushygiene nicht zu den "16 wichtigen Fachbereichen" gehört zu haben scheint. Zumindest ist in der Liste der Fachgebiete die Fachdisziplin der Krankenhaushygiene nicht genannt.

In Deutschland infizieren sich inzwischen bis zu 1,2 Millionen Patienten mit Krankenhauskeimen. Der Focus hingegen zitiert die Direktorin des Instituts für Hygiene der Charité in Berlin, die - aus unserer Sicht - von deutlich zu niedrigen absoluten Infektionszahlen - nämlich nur "einer halbe Million Infektionen" ausgeht.

Diese Zahl "unterschlägt" - nach unserer Auffassung - 500.000 bis 700.000 Infektionen und damit unendlich viel Leid sehr vieler Patienten.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene hat vor einigen Jahren in der Pressemitteilung ihres Jahreskongresses nur eine halbe Million Infektionsfälle angegeben.

Diese Zahl wurde nachfolgend deutlich - um "schlappe" 400.000 Fälle leidender Patienten - nach oben korrigiert. Die "magische Grenze" von mehr als 1 Millionen nosokomialer Infektionen hat die DGKH - trotz der über die Webseite der DGKH (siehe www.dgkh.de) abrufbaren Veröffentlichung von Prof. Walger - nicht überschritten - was erstaunt.

Infektionszahlen von nur einer halben Million Infektionen basieren auf hochgerechneten, veralteten Zahlen - auch aus den 80er Jahren. Dies war ein anderes Zeitalter - das Zeitalter, als viele Antibiotika noch wirkten. Heute nähern wir uns in Anbetracht zunehmender Resistenzen - in großen Schritten - der "postantibiotischen" Zeit.

Warum werden der deutschen Öffentlichkeit immer wieder veraltete, um mehrere Hunderttausend zu niedrige Infektionszahlen präsentiert? Warum hinterfragt der Focus für Patienten hoch bedeutsame Fallzahlen nicht?

Von einem der führenden deutschen Wochenmagazine - dem Focus - hätte ich einen kritischeren Umgang und eine Überprüfung dieser für Leser und Patienten hoch wichtigen Zahlen erwartet. Statt dessen wird eine - von uns kritisch gesehene und - unseres Erachtens - die Dimension des Problems nosokomialer Infektionen nahezu verschleiernde, niedrige Zahlenangabe einer Direktorin eines Hygieneinstitutes der Klinik auf "Platz 1" zitiert - und in keiner Weise hinterfragt. Dies ist ein journalistisch zu kritisierendes Vorgehen bei einem wichtigen Thema. Bis zu 500.000 oder 700.000 nicht berücksichtigte, von Krankenhausinfektionen betroffene Menschen sind "kein Pappenstiel".

Opfer nosokomialer Infektionen verdienen eine kritischere Berichterstattung und eine seriöses Hinterfragen von Zahlenangaben.

Als "2. Vergleichsgrundlage" wertete der Focus die aktuell verfügbaren Daten aus den gesetzlich vorgeschriebenen "strukturierten Qualitätsberichten" der Kliniken aus.

Auch in diesem Zusammenhang kritisieren wir - generell und ohne Bezug zu den in der Focus Liste genannten Kliniken - seit vielen Jahren, dass die Qualitätsberichte bedauerlicherweise nicht immer geeignet sind, um Erkenntnisse über die tatsächliche Qualität der Klinikhygiene zu gewinnen.

Auf dem - für potentielle oder geschädigte Patienten einer Klinik wichtigen - Gebiet der Krankenhaushygiene sind die Qualitätsberichte einiger deutscher Krankenhäuser für den Patienten nicht selten ohne Aussagekraft. In ungünstigen Fällen enthalten sie fast "textbausteinartig" anmutende Qualitätsbekundungen sehr allgemeiner Art und Versprechen, die noch dazu von den Kliniken selbst verfasst sind.

Die tatsächliche Qualität der organisatorischen Klinikhygiene und der Grad der Umsetzung der Hygienegesetze eines Krankenhauses, welches ein Patient aufsuchen will, kann dieser in vielen Fällen nicht an den Qualitätsberichten alleine festmachen.

Als "3. Rechercheweg" nennt der Focus die Versendung eines Fragebogens an den Qualitätsmanager durch MINQ.

Wir haben diesen Fragebogen zu Fragen der Klinikhygiene vom Focus angefordert und werden diesen im Hinblick auf seine Geeignetheit zur Ermittlung der Hygiene-Qualität einer Klinik prüfen.

Die Qualitätsmanager der Klinken sind in einigen Fällen bei diesen beschäftigt. Im Rahmen der bundesweiten Vertretung zahlreicher Infektions-Opfer in Deutschland schreiben wir immer wieder Kliniken an und fragen nach der Einhaltung der Hygiene-Gesetze. Nahezu jede Klinik behauptet von sich, die wichtigen Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene des Robert-Koch-Institutes umzusetzen.

Mit einer Anfrage an den Qualitätsmanager eines Krankenhauses zu "Hygienemaßnahmen" wie der Teilnahme an KISS, der "Aktion saubere Hände" oder "systematischen Maßnahmen der Händedesinfektion" kann man aus unserer Sicht nicht geeignet und nicht sicher in Erfahrung bringen, wie es um die Hygiene einer Klinik - und zwar in Wirklichkeit und nicht nur auf dem Papier, denn dieses kann geduldig sein - bestellt ist.

Bei bis zu 1,2 Millionen Krankenhausinfektionen in Deutschland hilft es den Patienten und Lesern nicht entscheidend weiter, wenn in einem Artikel durch Erwähnung unseres Erachtens viel zu niedriger Infektionszahlen in Deutschland das Problem der Krankenhausinfektionen in unserem Land bagatellisiert wird.

Aus unserer Sicht sind auch die von der Hygiene-Expertin der Charité Petra Gastmeier angegebenen absoluten Vermeidbarkeitszahlen - ein Drittel der Infektionen wäre vermeidbar - eher niedrig gegriffen. Wir fordern eine ehrgeizigere Betrachtungsweise und "Zero Tolerance" bei Krankenhausinfektionen.

In Anbetracht der deutschen Infektionszahlen in Kliniken ist es für Patienten generell sehr wichtig, durch objektive sowie unabhängig ermittelte Daten in Erfahrung bringen zu können, wie es um die Hygiene der konkreten Klinik bestellt ist.

Der Focus hat Qualitätsberichte angeschaut und Krankenhausmanager befragt. Diese Maßnahmen sind aus unserer Sicht - bezogen auf Kliniken generell - nicht hinreichend, um die Qualität der Klinik-Hygiene eines Hauses wirklich beurteilen zu können. Damit formulieren wir eine Auffassung, wir erklären uns in dieser Stellungnahme in keiner Weise zur Qualität und Geeignetheit der Hygiene-Bemühungen der erwähnten Häuser. Diese können wir nicht einschätzen oder beurteilen.

Der realen Beurteilung der Qualität der Krankenhaushygiene einer Klinik sollte aber - aus unserer Sicht - immer eine objektive und neutrale Betrachtung von außen vorangehen.

Deutschland hat hervorragende Hygiene-Gesetze, deren Einhaltung aber wird nicht immer hinreichend kontrolliert. Schwarze Schafe werden nicht immer gesehen. Deshalb fordern wir eine Bundesbehörde, eine Task Force nach niederländischem Vorbild und einen Klinik-TÜV, eine Bestandsaufnahme zur Prüfung der Einhaltung der "Basics" der Klinikhygiene in jedem Haus.

Hinzukommt die zwingende Reformierung des ungeeigneten und in einzelnen Fällen gefährlichen Vergütungssystems.

Zu der - für uns unzureichenden - Gewichtung des wichtigen Aspektes der Klinikhygiene durch den FOCUS passt das aus dem Zusammenhang gerissene Zitat des Unterzeichners, wonach der Nachweis, dass ein Patient sich "einen Keim schuldhaft in der Klinik geholt" habe, nur "selten" gelinge.

Die für den Patienten wichtigste Information zu den Erfolgsaussichten arzthaftungsrechtlicher Klagen bei einer Krankenhausinfektion oder deren fehlerhafter Behandlung erwähnt das Magazin nicht ansatzweise:

Nach der Neufassung des Infektionsschutz-Gesetzes wird die "Einhaltung des medizinischen Standards" in Prozessen gegen Kliniken nur noch vermutet, wenn die Klinik darlegen kann, dass sie die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene beim Robert-Koch-Institut tatsächlich umsetzt.

Diese Neufassung des Gesetzes hat die Chancen geschädigter Patienten verbessert.

Für fast irreführend und für geschädigte Patienten wenig hilfreich erachten wir die Befragung eines Richters für Arzthaftungsfälle zur Sinnhaftigkeit arzthaftungsrechtlicher Prozessverfahren:

Dieser empfiehlt den Patienten, zunächst "einmal mit dem Ärzten zu sprechen." Ein qualifizierter Anwalt rate "gegebenenfalls auch von einer Klage" ab. Die "Mediation" sei geeignet, den Konflikt zu lösen.

In vielen arzthaftungsrechtlichen Verfahren - und ganz besonders in Verfahren, in denen es um die Schädigung von Patienten durch Krankenhausinfektionen geht - sind die Empfehlungen des Vorsitzenden Richters Peter Lemmers aus unserer Sicht ungeeignet, weil nicht zielführend.

Wenn Patienten durch Krankenhausinfektionen geschädigt sind, geht es oft um Fragen der Beweislast. Die Klinik muss darlegen und beweisen, dass sie die Hygiene-Gesetze umsetzt. Wenn sie dies nicht kann oder die hygienische Organisationsstruktur fehlerhaft ist, kann die Beweislast umgekehrt sein.

Vor diesem Hintergrund macht es bei Infektionsfällen - und in vielen anderen Verfahren - überhaupt keinen Sinn, mit den Ärzten zu sprechen. Diese vertreten in vielen Fällen die Ansicht, wegen des Haftpflichtversicherers "darf ich nichts sagen". Für manchen Behandler sind "Infektionen stets schicksalhaft". Das kann "ihnen überall passieren".

Für die reale Einschätzung der wirklichen Hygiene-Qualität und des tatsächlichen Grades der Umsetzung der KRINKO-Empfehlungen einer Klinik reichen uns Qualitätsberichte der Klinken und Antworten in - noch dazu nicht veröffentlichten - Fragebögen durch Qualitätsmanager einzelner Krankenhäuser nicht aus.

Ob die vom Focus ermittelten 100 TOP Kliniken demnach auch auf dem wichtigen Gebiet der Klinikhygiene zu den besten 100 Kliniken Deutschlands gehören, ist für uns durch den Focus Artikel noch nicht bewiesen.

In diesem wichtigen Bereich der Klinikhygiene hätte ich von einem führenden Magazin intensivere Nachforschungen erwartet.

RA Dr. jur. Burkhard Kirchhoff
Patientenanwalt

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