Richtungsstreit der deutschen Krankenhaushygiene ? - Patientenschutz und Klinikinteressen

In Deutschland wurden - in der Vergangenheit - nach Infektionsausbrüchen verschiedentlich durch sogenannte "Klinikkommissionen" Gutachter eingesetzt. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene - Prof. Dr. Martin Exner - hat im Rahmen eines Interviews bei Radio Bremen - das "Ausbruchsmanagement" nach der Keimaffäre in Bremen kritisiert. Der Direktor des Institutes für Hygiene der Universität Bonn vertrat - nach von uns inhaltlich nicht prüfbaren Zitaten auf der Webseite des Senders - in diesem Interview die Ansicht, man hätte nach dem Ausbruch in Bremen "mehr Ruhe bewahren" sollen. Nicht die Verbesserung der Abläufe habe im Focus gestanden sondern die Suche nach der Ursache. Die Mitarbeiter hätten unter "einem besonderen psychischen Druck" gestanden. Man sei in Bremen "schnell an die Öffentlichkeit" gegangen. Man müsse fragen - so Exner weiter - mit welchen Verfahren man "auch in der Öffentlichkeitsdarstellung nach vorne" gehe.

Herr Exner war im Verfahren Bremen - nach seiner Mitwirkung im Verfahren der toten Frühchen in Mainz - von der Staatsanwaltschaft Bremen nicht beauftragt worden. Durch einen anderen renommierten Krankenhaushygieniker und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene - Prof. Dr. Walter Popp - Universität Essen - wurde zum "Fall" Bremen im Auftrag der zuständigen Staatsanwaltschaft ein mehrere hundert Seiten umfassendes, wissenschaftlich sorgfältig begründetes und inhaltlich nachprüfbares Gutachten zu den Ursachen des Ausbruches und der Sicherheitskultur der Klinik vorgelegt. Dieses Gutachten erreicht die wissenschaftliche Qualität und Tiefe der Arbeit der "Kommission Wahrheitsfindung" - Zitat dazu am Ende dieses Textes - nach dem Ausbruch eines OXA 48 Stammes in einer Rotterdamer Klinik.

Nach dem Tod von Frühchen in Mainz - wo der Gutachter Exner involviert war - wurde der Öffentlichkeit recht zeitnah als Ursache der Infektionen der Kinder eine kontaminierte Nährstofflösung mitgeteilt, was zu kritischen Kommentaren auch durch das weitere Vorstandsmitglied der DGKH in Berlin, das unbeugsame "Gesicht der deutschen Krankenhaushygiene", Herrn Dr. Klaus-Dieter Zastrow geführt hat.

Unsere Kanzlei hat - nach der schnellen Pressekonferenz in Mainz - über Monate die Veröffentlichung eines wissenschaftlich fundierten Gutachtens zum Fall Mainz gefordert.

Im Verfahren zu den toten Frühchen in Bremen hatte Prof. Dr. Exner eine These über die Ursachen des Ausbruches formuliert, die sich später nicht zwingend erhärtete. Auch zur These des Gutachters Exner zum Infektionsfall Bremen liegt unserer Kanzlei bis heute kein wissenschaftlich begründetes Gutachten vor, anhand dessen die Stichhaltigkeit und wissenschaftliche Belastbarkeit der These zur Infektionsursache in Bremen überprüft werden könnte. Wir wissen nicht, ob ein solches Gutachten existiert und sehen der Übersendung gerne entgegen. Die Infektionsquelle in Bremen ist - was bei Ausbrüchen nicht ungewöhnlich ist - bis heute nicht gefunden.

Im Rahmen des Symposiums "Patientenschutz und Hygiene" der DGKH in Berlin am 7.6.2013 formulierte Prof. Dr. Exner nach einem Vortrag - zu Recht - die Einschätzung, das Ausbruchsmanagement nach Infektionshäufungen in Deutschland müsse sich verbessern.

Unser Kommentar und Forderungen bei künftigen Ausbrüchen:

Nach der Schädigung von Patienten oder dem Tod von Frühchen, muss eine intensive, objektive, hoch fachkundige und professionelle Aufarbeitung erfolgen. Die Arbeit klinikeigener Kommissionen sehen wir in diesem Zusammenhang kritisch. Wenn in einer Klinikkommission die kaufmännische und medizinische Leitung einer Klinik und das örtliche Gesundheitsamt mitwirken oder sogar "das Heft in der Hand halten", sehen wir die Gefahr, dass der "Bock zum Gärtner" gemacht werden könnte. Wer - und sei es rein theoretisch - zur Entstehung eines Ausbruches oder dessen verspäteter Beendigung auch nur beigetragen haben könnte, sollte in einer Einrichtung, die die Ursachen des Todes von Menschen klären soll, nicht die Richtung vorgeben, geschweige denn über die Möglichkeit des Einflusses verfügen und lediglich "zur Aufklärung ehrlich wie ein Zeuge beitragen, was er kann".

Ebenfalls kritisch sehen wir es, wenn Klinikkommissionen ihre Gutachter selbst auswählen, einsetzen oder sogar bezahlen:

Dieses Vorgehen birgt aus unserer Sicht die latente Gefahr unbewusst falscher Fragen und rücksichtsvoller Antworten zu den Ursachen eines Ausbruches. Die "Hand, die einen füttert, beißt man nicht" besonders gern. Gutachter aber müssen unabhängig sein und in alle Richtungen - wie Staatsanwaltschaften - prüfen. Ihre "Thesen" sollten durch eine breite Öffentlichkeit nachprüfbar sein, was nur möglich ist, wenn sie durch Vorlage wissenschaftlich fundierter Gutachten zur öffentlichen Diskussion gestellt werden. Der Staat - Staatsanwaltschaften und Gerichte - dürfen sich die juristische Aufarbeitung der Folgen nosokomialer Infektionen und deren Fehlbehandlung nicht - wie bisher zu häufig - aus der Hand nehmen lassen.

Kritisch hinsehen werden wir bei künftigen Ausbrüchen auch, wenn durch Kliniken mehrfach auf dieselben Gutachter zurückgegriffen wird. In Deutschland gibt es mehr als 200 Fachärzte für Hygiene und zahlreiche Gutachter, die die Causa eines Ausbruches im Rahmen des wissenschaftlich Möglichen klären können. Wenn Klinikleitungen mehrfach auf denselben Gutachter - oder verschiedener Gutachter einer Einrichtung - zurückgreifen, stärkt dies das Vertrauen der Öffentlichkeit in eine unabhängige Aufklärung nicht und hat einen "Beigeschmack", der vermieden werden muss.

Wenn Infektionsursachen nicht sicher gefunden und eliminiert sind, müssen Stationen geschlossen werden, um Gesundheitsschaden für andere Patienten auszuschließen. Dies gilt nicht nur für Frühchen Stationen sondern alle Behandlungseinheiten. Wirtschaftliche Aspekte müssen nachrangig sein:

In Bremen wurde die Station - ohne sichere Eliminierung der nicht gefundenen Infektionsursache auf der Station - wieder geöffnet und Kinder starben.

Die Rechtswissenschaft wird zu klären haben, ob die Widereröffnung einer Station nach einem Ausbruch - oder auch nur einem Ausbruchsverdacht - verantwortet werden kann, bevor die Infektionsquelle gefunden und sicher ausgeschaltet ist. Unsere Auffassung: Nein - Jede Gefährdung von Patienten muss sicher (!) ausgeschlossen werden.

Wie und wann geht man nach einem Ausbruch an die Öffentlichkeit ?

Es gibt aus unserer Sicht nichts zu überlegen, wie und wann man "an die Öffentlichkeit und nach vorne" geht. Die Öffentlichkeit - umso mehr die Eltern getöteter Kinder - haben ein nicht zur Disposition klinikeigener Kommissionen stehendes Recht, zum frühesten Zeitpunkt zu erfahren, wenn ein Keimausbruch besteht. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten hat Verfassungsrang, es ist ein hohes Gut. Patienten darf ein Ausbruch - nicht einmal die Vermutung eines solchen - verschwiegen werden. Patienten müssen selbst entscheiden dürfen, ob sie sich in eine Klinik begeben, operieren lassen oder entbinden wollen, obwohl es in dieser Klinik zu einer Häufung von Infektionsfällen mit ganz oder teilweise resistenten Krankenhausbakterien gekommen ist.

Die Frage des Zeitpunkt des "Nach-Vorne-Gehens" steht nicht in der Entscheidungsbefugnis von Klinikleitungen, Klinikkommissionen oder Gutachtern. Verfassungsrechtlich abgesicherte Rechte der Patienten determinieren den Zeitpunkt, sonst niemand!

Niemand - der ernst genommen werden möchte - wird die Ansicht vertreten, man dürfe werdenden Müttern - und sei es kurzzeitig - verschweigen, dass auf einer Station gefährliche Keime grassieren oder auch nur ein Ausbruchsverdacht besteht. Wir vertreten zahlreiche Verfahren, in denen Fehler in der hygienischen Sicherheitskultur oder sogar Infektionshäufungen Patienten verschwiegen wurden. Wenn eine Klinik in der Situation eines Ausbruches oder Verdachtes Bestands- und Neupatienten auf das erhöhte Risiko nicht hinweist, verstößt sie gegen Rechte der Patienten. Über erhöhte Risiken in einer Klinik ist der Patient aufzuklären, sofort, ohne Taktieren, ohne Wenn und Aber und auch ohne "Überlegung, wie man nach vorne geht".

In Deutschland werden viele Infektionsausbrüche überhaupt nicht bekannt. Flächendeckend durchgängig geeignete Kontrollen aller Kliniken zur Umsetzung der KRINKO-Empfehlungen gibt es nicht. Der Gesetzgeber baut - trotz immer noch bis zu einer Millionen Krankenhausinfektionen auf den "good will" der Kliniken und hat bis heute keine effektiven Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten geschaffen. Die deutschen Infektionszahlen werden nicht nur sehr unvollständig erfasst - valide Zahlen über vermeidbare Neuerkrankungen gibt es nicht - sie werden auch nicht durchschlagend sinken.

Der Patient ist das schwächste Glied in der Kette des deutschen Gesundheitswesen. Ärzte verfügen über Kammern, die das Problem der Krankenhausinfektionen aus unserer Sicht seit Jahren nicht geeignet anpacken. Gleiches gilt für die Deutsche Krankenhausgesellschaft, deren Haupt-Geschäftsführer der Ansicht zu sein scheint, nur zwischen 1.500 bis 4.500 Todessfälle seien vermeidbar.

Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene - DGKH - sollte das Wohl des Patienten weiter im Auge behalten und in den Vordergrund ihrer Arbeit stellen sowie Missstände in Kliniken und Fehlentwicklungen weiter kritisch öffentlich ansprechen. Krankenhaushygiene soll Patienten schützen.

Abschließend ein Zitat der Kommission Wahrheitsfindung der Niederlande nach einem Ausbruch in Rotterdam. Dieses Zitat bezieht sich nur auf die Feststellungen der Kommission zu dem Ausbruch in Rotterdam. Wir beziehen es nicht auf Ausbrüche in Deutschland. Es soll nur allgemein verdeutlichen, wo die Ursachen eines Ausbruches in einer Klinik liegen können und warum wir die Arbeit künftiger deutscher Klinikkommissionen nach Ausbrüchen weiter kritisch betrachten und wissenschaftlich belastbare Fakten fordern werden:

"Der Vorstand der Klinik und der Aufsichtsrat tragen eine große Verantwortung für das Ausmaß des Ausbruches. Der Vorstand hatte sich in dem Bestreben, die Wettbewerbssituation des Krankenhauses zu vergrößern und das Krankenhaus zu einem der zehn besten Krankenhäuser zu machen, stark nach außen orientiert. Der Vorstand entfremdete sich vom klinischen Alltag. Die amtierende Geschäftsführung verfügte nicht über ausreichende medizinische Kenntnisse, um den Ernst des Problems richtig einzuschätzen und hat es versäumt, ein funktionierendes feedback System mit dem Fachpersonal aufzubauen. Der Aufsichtsrat hat nicht erkannt, wie anfällig die Vorstandszusammensetzung war, er hat sich vom Aufstieg des Krankenhauses auf den Ranking-Listen blenden lassen, das Interesse an Qualität und Sicherheit war gering.
Die Kommission schließt daraus, dass dem Krankenhaus eine Sicherheitskultur fehlte"

Ich wünsche mir, dass in Deutschland der Tod von Menschen nach einer meldepflichtigen Häufung von nosokomialen Infektionen immer extern, unabhängig, ohne Bezahlung durch die Klinik und notfalls schonungslos auch bezogen auf die Klinikleitung und damit auf allen Ebenen geprüft wird.


Dr. jur. Burkhard Kirchhoff
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