Manipulierte Infektionszahlen in Deutschland?

Anmerkungen zu den fragwürdigen "offiziellen Infektionszahlen" sowie den Zahlen der Letalität - Hohe Präventionspotentiale nosokomialer Infektionen in Deutschland

Wir kritisieren seit vielen Jahren, dass es in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern bis heute keine breite, wissenschaftlich belastbare Untersuchung zu den realistischen Zahlen nosokomialer Infektionen sowie der Zahl der vermeidbar verstorbenen Patienten gibt.

Selbst von durchaus renommierten "Playern" auf dem medizinischen Gebiet der Krankenhaushygiene und der Sepsisbehandlung werden teilweise unrealistische und auf veralteten Zahlenmaterialien basierende, zu niedrige Infektionszahlen und Präventionspotentiale präsentiert.

Im Rahmen der Vertretung geschädigter Patienten vor deutschen Gerichten stellen wir immer wieder fest, dass nicht selten Gutachter auf die auch von renommierten Hygiene-Medizinern behaupteten Zahlen verweisen, wonach nur 30% aller Krankenhausinfektionen vermeidbar sein sollen.

Wir haben diese aus unserer Sicht auf veralteten Erhebungen aus den 80er Jahren basierenden Zahlen immer wieder scharf kritisiert, weil sie aus unserer Sicht zu oft als Rechtfertigungsversuch auf unrealistischer Basis herhalten müssen.

Wenn es nach Hüftoperationen in einer Klinik oder beim Setzen kardialer Stents immer wieder durch Hygienefehler zu nosokomialen Infektionen mit dem identischen Bakterienstamm kommt und dieser Fehler nicht eliminiert wird, dann sind nicht 30%, sondern 100% der Infektionen vermeidbar.

Zu Recht fordert Prof. Dr. Walter Popp von der Universitätsklinik Essen mehr Ehrgeiz und eine "Null Toleranz Strategie" für Krankenhausinfektionen.

In Deutschland existieren aber auch von renommierten Wissenschaftlern verfasste Aufsätze, wonach nur 1.500 bis 4.500 Menschen zu retten wären, wenn die Vorgaben der Krankenhaushygiene umgesetzt werden.

Man fragt sich, was der wissenschaftliche Sinn solcher Aufsätze ist. Wer bezahlt diese "Forschung"?

Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene hat mit einer von den Professoren Walger, Popp und Exner verfassten Stellungnahme die zum Teil auf 40 Jahre(!) alten Arbeiten beruhenden, der deutschen Öffentlichkeit immer wieder präsentierten, niedrigen Zahlen untersucht. Für Deutschland wird noch heute das Ergebnis der ersten, nationalen Stichprobe zur Erfassung der NI Rate aus dem Jahre 1994 zum Maß der quantitativen Abschätzung der Anzahl von nosokomialen Infektionen herangezogen.

Endlich arbeitet eine Stellungnahme der DGKH heraus, dass die in Deutschland immer wieder kommunizierte Zahl von nur 400.000 bis 600.000 Infektionen wissenschaftlich nicht haltbar ist. Bereits die Studie zur Erfassung von nosokomialen Infektionen in Deutschland Teil 2 (NIDEP 2 1995 bis 1998) bildet Zahlen ab, die zu Gesamtinfektionszahlen von etwa

1,3 Millionen nosokomialen Infektionen

führt.

Unser Fazit:

In Deutschland werden der Öffentlichkeit seit vielen Jahren unrealistisch niedrige Zahlen von nosokomialen Infektionen präsentiert. Mit der Stellungnahme der DGKH zu Prävalenz, Letalität und Präventionspotential nosokomialer Infektionen in Deutschland 2013 hat die DGKH die offiziellen Zahlenwerke endlich einmal kritisch beleuchtet.

Die deutsche Regierung hat über viele Jahre hinweg die Thematik der Krankenhausinfektionen stiefmütterlich behandelt. Die Erforschung neuer Reserveantibiotika wurde und wird unzureichend gefördert. Die Resistenzen nehmen zu, die Infektionszahlen steigen oder stagnieren und noch heute sterben in Deutschland jährlich viele tausend Menschen vermeidbar.

Eine flächendeckend geeignete Kontrolle der Kliniken wurde auch durch die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes nicht geschaffen. Immer noch gibt es schwarze Schafe der Krankenhaushygiene, die es sich leisten können, die Vorgaben des neuen Infektionsschutzgesetzes, der Landeshygieneverordnungen und der KRINKO Empfehlungen - die entgültig Gesetzeskraft haben - nicht 1 zu 1 umzusetzen.

Die deutsche Regierung hat ein hohes Interesse, im europäischen Vergleich ordentlich dazustehen. Versucht man dies durch Angabe und Förderung unrealistisch niedriger Zahlen zu Anzahl der Infektionen und Sterblichkeit zu erreichen?

Was uns als Patientenanwälte erstaunt, ist der Umstand, dass selbst renommierte Wissenschaftler auf dem Gebiet der Krankenhaushygiene und Sepsisbehandlung von nur etwa 30% vermeidbaren Infektionen ausgehen. Haben diese Fachleute sich mit den Zahlenwerken - im Gegensatz zu den Verfassern der Stellungnahme der DGKH - nicht ausreichend befasst?

Die von Prof. Dr. Popp propagierte "Null Toleranz Strategie" sollte sich gegenüber einer gelegentlich anzutreffenden "hohe Toleranz für Hygieneverstöße" Strategie auf dem Gebiet der Krankenhaushygiene durchsetzen. Ehrgeizige Ziele in der Krankenhaushygiene und "Null Toleranz" für Infektionen führen zu erhöhtem Ehrgeiz, statt zu Nachlässigkeit. Das Qualitätskriterium für die Hygiene einer konkreten Klinik muss die realistisch ermittelte Anzahl an nosokomialen Infektionen sein. Die bloße Teilnahme an Krankenhaus-Infektions-Surveillance Systemen oder ein Zertifikat im Foyer einer Klinik führen noch nicht zu einer verbesserten Hygiene.


Dr. jur. Burkhard Kirchhoff
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